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  • wenkekroschinsky

Was habe ich mir nur dabei gedacht?

Ich habe mir ein Ziel gesteckt, ein grosses Ziel. Viele meiner Freunde zeigen mir ihr Unverständnis. Kommentare wie „Das schaffst du nie.“ oder „Da hast du aber noch viel zu tun.“ kenne ich zur Genüge. Manchmal ziehen mich diese Kommentare runter, lassen mich zweifeln, verzweifeln und ich stelle meine Pläne in Frage. Zu anderen Zeiten sind diese Äusserungen eher Ansporn, wecken meinen Ehrgeiz, mein Ziel zu erreichen, es den an mir Zweifelnden zu zeigen, was ich schaffen kann, wenn ich es nur will. Oft versuche ich, diese Kommentare gar nicht an mich heran zu lassen, sondern stoisch meinen Weg zu gehen. Oft lässt es mich aber nicht kalt. Wenn dann noch eine Schwierigkeit, eine Hürde hinzukommt, sitze ich da, unfähig, irgendetwas zu tun. Ich frage mich, welcher Teufel mich geritten hat, zu glauben, dass es machbar ist. Ich frage mich, was ich gedacht habe, wer ich bin, dass ich solch ein grosses Vorhaben durchziehen kann. Litt ich unter Grössenwahn? Redete ich mir die Schwierigkeiten schön? Oder verdrängte ich sie sogar? Ich fühle mich dann, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und weiss nicht weiter. Soll ich aufgeben? Soll ich mir und auch den anderen gegenüber eingestehen, dass ich versagt habe, dass es eine Schnapsidee war? Mein Körper spannt sich an, ein innerlicher Druck baut sich auf und ich spüre einen Kloss im Hals. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich kämpfe dagegen an. Weinen bringt mich jetzt nicht weiter. Ich muss eine Entscheidung treffen. Ich muss abwägen, was richtig und was falsch ist. Da brauche ich keine Gefühlsduseleien. Ich versuche, die Vor- und Nachteile abzuwägen, schreibe sie auf, doch meine Schrift verschwimmt vor meinen Augen. Mein Kopf ist nicht in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu produzieren. Die Gedanken rasen und ich kann sie nicht fassen. Mein Herz schlägt schneller, meine Atmung ist schwerfällig. Ich erahne den nahenden nervlichen Zusammenbruch. Ich versuche mich abzulenken. Ich räume auf. Dabei fällt mir ein Glas aus der Hand und zerspringt in tausend Scherben. Ich könnte schreien vor Wut. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben und sammle das Glas auf. Dabei schneide ich mich. Die ersten Tränen laufen über. Nicht, weil die Wunde weh tut. Schmerzen spüre ich nicht. Ich weine, weil ich von mir enttäuscht bin, wütend auf mich selbst. Ich bin wütend, weil ich schon so viel Zeit in dieses Ziel investiert habe und nun vor einem Scherbenhaufen stehe, sprichwörtlich und tatsächlich. Meine Selbstachtung leidet. Mein Selbstwert sinkt. Alle Kraft weicht aus meinem Körper. Ich setze mich neben dem zerbrochenen Glas auf die Erde. Ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten. Der Damm bricht und ich heule hemmungslos. Ich bin allein zu Hause und das ist gut so. Niemand soll sehen, wie schwach ich bin. Niemand soll meinen Untergang, mein Versagen live anschauen können. Ich mag mir gar nicht die Schadenfreude der anderen vorstellen. „Habe ich dir doch gleich gesagt, dass das nicht funktioniert.“ So oder so ähnlich werden sie reagieren. Am schlimmsten ist es, wenn sie es hinter meinem Rücken tun. Während ich weine, beruhigen sich meine Gedanken. Das Rasen im Kopf hört auf. Meine ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf das Weinen. Ich spüre, wie mir die Tränen von den Augen über die Wangen bis zu meinem Kinn laufen und dort hinab tropfen. Ich spüre, wie meine Nase vom Weinen zu schwillt. Es ist in Ordnung so. Ich beobachte, wie mit den Tränen mein innerlicher Druck nach Aussen gespült wird, als ob man das Ventil von einem zu stark aufgepusteten Reifen öffnet. Langsam stellt sich eine Leichtigkeit ein. Eine Erleichterung, dass ich diese unangenehmen Gefühle nicht länger in mir ertragen muss. Die Tränen werden weniger. Ich muss schluchzen. Das löst den Kloss im Hals. Es dauert noch ein paar Minuten, bis der Tränenfluss gänzlich versiegt. Ich bleibe auf dem Boden sitzen und warte ab. „Selbst wenn ich scheitere,“, sage ich zu mir selbst, „so hab ich es doch wenigstens versucht. Das kann ich mir dann später nicht vorwerfen. Und das habe ich den anderen voraus. Die meisten versuchen es doch gar nicht erst, aus Angst vor Misserfolg oder Fehlern.“ Meine eigenen Worte tun mir gut. Die Kraft kehrt in meinen Körper zurück. Mein Herz findet wieder zu seinem normalen Takt. Ich kann meine Atmung tief in meinen Bauch schicken. Ich gehe ins Badezimmer und wasche mir das Gesicht kalt ab. Im Spiegel sehe ich verquollene, rote Augen. Der Mascara ist verschmiert. Wieder packt mich die Wut. Doch diesmal macht sie mich nicht ohnmächtig, sondern gibt mir Antrieb. Ich sage zu mir selbst: „Jetzt ist noch nicht der richtige Zeitpunkt, zum Aufgeben. Mach weiter. Setze deinen Weg fort. Was ist als nächstes zu tun? Gehe Schritt für Schritt. Und sei der nächste Schritt noch so klein, wenn du ihn gegangen bist, bist du wieder ein kleines Stück näher an deinem Ziel.“ Ein leichtes Lächeln huscht über mein Gesicht. Vielleicht bin ich blauäugig, vielleicht überschätze ich mich, aber ich lasse mich nicht von einer kleinen Schwierigkeit unterkriegen.

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