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  • wenkekroschinsky

Der falsche Job

Wie bin ich zu diesem Job gekommen?


Ich war frisch fertig mit dem Studium, durfte mich Psychologin nennen und war auf der Suche nach meinem ersten richtigen Job als Psychologin. Bei uns in der Gegend leider gar nicht so leicht und so musste ich recht viele Bewerbungen schreiben.


Ein Vorstellungsgespräch hob sich von den vielen anderen ab. Es war so ganz anders. Ich hatte mich bei einer Universität als wissenschaftliche Mitarbeiterin beworben mit der Aussicht, meine Doktorarbeit schreiben zu können. Der Chef der Abteilung empfing mich sehr herzlich. Wir führten ein sehr lockeres Gespräch über das, was er tut und woran er forscht und über das, was ich gerne erforschen wollen würde. Immer wieder wertschätzte er mich und meine bisherigen Leistungen im Studium. Und diese Wertschätzungen waren aufrichtig ehrlich. Nach einer Stunde holte er seine zwei Kollegen*innen hinzu und wir stellten uns aneinander vor. Und plötzlich, ich weiß bis heute nicht wie das passierte, waren wir mitten im Brainstorming zu MEINER zukünftigen Doktorarbeit. Ich kam mir nicht mehr vor wie in einem Vorstellungsgespräch, sondern als ob ich schon Teil des Teams wäre. Nach dem Gespräch meinte er, er würde sich dann bei mir melden, aber mein Gefühl sagte mir, dass er sich schon längst für mich entschieden hatte. Und so war es dann. Am nächsten Tag rief er mich an und bat mich erneut zu sich, um alles weitere zu klären.


Bei diesem zweiten Gespräch war die Atmosphäre noch freundlicher, noch angenehmer, so als ob ich ihn und seine Mitarbeiter*innen schon ewig kennen würde. Spontan lud er mich und die beiden anderen zum Mittagessen ein. Ich war an diesem Tag über drei Stunden dort.


In den folgenden Tagen tauschten wir via Post die Verträge aus, schrieben uns E-Mails und freuten uns aufeinander. Ich war total aufgeregt, da für mich die Forschung und die Lehre an einer Universität eigentlich gar nicht ernsthaft zur Debatte stand. Doch das Klima zwischen diesen Menschen, das wertschätzende Miteinander, das Brennen für ihre Forschung und Themen, wie sie mich gleich in ihre Mitte aufgenommen haben, all dies bewog mich, diesen Job machen zu wollen. Und ich freute mich wirklich darauf.


Dann bekam ich ein weiteres Vorstellungsgespräch. Es war eine Klinik, ich sollte im neurologischen Bereich arbeiten, ein Gebiet, auf welchem ich mich gar nicht gut aus kannte. Das Vorstellungsgespräch war gelinde gesagt eine Katastrophe. Der Chefarzt war distanziert, sehr unterkühlt, von oben herab. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen in der Schule, welches ein Blackout beim Test hat. Die Fragen waren nicht sehr originell und meine Antworten sagten nix über mich aus. Nach zehn Minuten war das Vorstellungsgespräch gelaufen. Ich ging raus, da wartete schon die nächste Kandidatin und in Gedanken beglückwünschte ich sie zum neuen Job, denn ich war mir sicher, dass aufgrund der fehlenden Sympathie ich eine Absage erhalten würde.


Zwei Tage später erhielt ich einen Anruf von der Sekretärin mit der freudigen Botschaft, dass ich in 14 Tagen die Stelle antreten könne. Ich war total perplex, konnte nix sagen, außer „Ich sage ihnen Bescheid, ob ich die Stelle will.“ Daraufhin war sie perplex und stotterte, ich solle mir nicht zu lange Zeit lassen. Ich bekam den Vertrag zugesendet und setzte mich hin, um die Vor- und Nachteile der beiden Angebote abzuwägen. Die berühmte Pro- und Kontra-Liste sollte mir bei meiner Entscheidung helfen. Am Ende überwogen die Vorteile auf Seiten der Klinik. Was ich jedoch außeracht ließ, war mein Bauchgefühl, meine Intuition. Ich fühlte mich bei dem Gedanken, in dieser Klinik bei diesem Chefarzt arbeiten zu müssen, schlecht, mein Körper spannte sich an, ich hatte Druck im Bauch, mir war übel, ich hatte einen Kloß im Hals. Dachte ich an die Universität fühlte ich mich leicht, freudig, voller Energie endlich loslegen zu können. Doch ich ignorierte meine Gefühle und sagte der Klinik zu. Bei der Universität sagte ich über die Sekretärin ab, da der dortige Chef mir beim zweiten Gespräch schon sagte, dass er mich so unbedingt haben möchte, dass eine Absage von mir ihn sehr enttäuschen würde, so dass ich in diesem Fall nur mit seiner Sekretärin sprechen solle. Schweren Herzen schickte ich den Büroschlüssel, den ich schon erhalten hatte, zurück.


Ich trat meinen Job in der Klinik an einem Dienstag an. Die Psychologin, die dort schon seit zehn Jahren arbeitete, eröffnete mir, dass sie mich jetzt schnell einarbeiten müsse, da sie ab der kommenden Woche für zwei Wochen in den Urlaub gehen würde. Ich sollte sowohl ihre Station als auch meine zukünftige Station in dieser Zeit alleine machen. Der Chefarzt versicherte mir in seiner arroganten Art, dass ich ja Welpenschutz hätte und dass es klar sei, dass ich am Anfang noch nicht alles kann. Ich war etwas erleichtert, aber ich nahm es ihm nicht so wirklich ab.


Die erste Woche verging wie im Flug. Und ich merkte, wie viele Lücken ich doch in diesem Themengebiet hatte. Die zweite Woche brach an. Mittwochs war Chefarztvisite, wo der komplette Hofstaat mitlief: Chefarzt, Oberarzt, Facharzt, Assistenzarzt, Stationsschwester, Physiologe, Ergotherapeut, Logopäde und eben Psychologe. Die Stimmung war von Anfang an angespannt. Jeder hielt sich zurück, es wurde kaum untereinander gesprochen. Und es dauerte nicht lange, bis der Chefarzt jemanden, meist einen Assistenzarzt vor versammelter Mannschaft vorführte. Er stellte Fragen, die nicht beantwortet werden konnten. Er machte sich darüber lustig, dass sie die Antwort nicht wussten und er donnerte auch los. Ich war total erschrocken. So einen Umgang habe ich in meinem ganzen Arbeitsleben noch nicht erlebt (zur Information: ich war in meinem ersten Arbeitsleben Bürokauffrau und hatte schon unterschiedliche Arbeitsstellen). Heute weiß ich nicht mehr genau, wann ich an der Reihe war und was genau er zu mir gesagt hat. Aber auch mich traf sein Unmut. Er sagte etwas in der Art, dass wenn ich so arbeiten würde, bräuchten sie keinen Psychologen, das können dann die Ärzte alleine machen. Ich stand mit gesenktem Blick da. Mein kompletter Körper war angespannt. Alle schauten betreten weg. Niemand sprach ein Wort der Unterstützung. Alle verhielten sich ruhig, um nicht selbst in die Schusslinie zu geraten. Solch eine Chefarztvisite geht circa 2 Stunden und findet nochmals Donnerstag auf der Station meiner Kollegin statt. Wenn sie also im Urlaub war, durfte ich zweimal pro Woche daran teilnehmen. Nach diesem ersten Höllenerlebnis erzählte ich abends meinem Mann davon. Ich konnte dies immer noch nicht glauben und ich suchte nach Rechtfertigungen: Er hatte einen schlechten Tag. Ich habe mich vielleicht tatsächlich etwas blöde angestellt und so weiter. Ab dieser zweiten Arbeitswoche traf mich seine „Art“ jede Woche zur Chefarztvisite. Das war schlimm. Ich lebte diese zwei Stunden durchweg in Angst. Ich zitterte innerlich, aber auch äußerlich. Meine Stimme gehorchte mir kaum noch. Ich hatte stellenweise das Gefühl, ich pullere mir ein. So ging es mir zwei Stunden pro Woche. Ich tauschte mich über seine Art mit Kolleginnen aus. Alle versicherten mir, dass dies nach meiner Probezeit aufhören würde. Er täte das mit allen Neuen so. Ich solle dies nicht persönlich nehmen. Mit ihm darüber zu reden würde nichts bringen.


Die restliche Arbeitszeit war spannend. Ich lernte viel Neues. Und ich wägte mich in Sicherheit vor ihm. Bis zum Anfang der fünften Woche. Wir Therapeuten, also Ergo, Logo, Physio und Psycho, aßen gemeinsam Mittag, entweder in der Kantine oder in einem größeren Therapieraum. Dies taten die Kolleginnen anscheinend schon lange bevor ich dort begann. Bis zu dem einen Donnerstag, der Anfang meiner fünften Woche. Nach solch einem besagten Mittagessen ging ich in mein Büro zurück und just in dem Augenblick, wo ich es betrat, klingelte mein Telefon. Ich ging ran und mir schallte seine Stimme entgegen, wo ich denn die ganze Zeit gewesen sei. Ich antwortete, dass wir Mittag essen waren. Er schrie zurück, ich solle sofort in sein Büro kommen. Mir rutschte mein Herz in die Hose. Ich ahnte Schlimmes. Bei ihm angekommen, fragte er mich forsch aus, wie denn das mit dem Mittag essen laufen würde. Mir war sehr unwohl, denn ich hatte das Gefühl, als würde ich meine Kolleginnen verpfeifen. Was ich im Endeffekt unfreiwillig auch tat, denn von seiner Seite her war es nicht gestattet, dass wir in einem Therapieraum ALLE gemeinsam aßen. Begründung: dann wäre ja niemand mehr auf der Station. Ich bekam die volle Breitseite seiner Wut ab. Auch die des eigentlichen Grundes seines Anrufes: Ich hätte einen Befund völlig unprofessionell geschrieben. Woher ich solch eine Art und Weise denn hätte (Gott sei dank erwartete er keine Antwort, sonst hätte ich meine psychologische Kollegin mit hineinziehen müssen) und ich sei ja nun schon lange genug da, dass ich das doch so langsam mal können müsse. Nicht nur seine Wortwahl traf mich, sondern sein Brüllen, der bedrohende Ton. Ich saß wie ein kleines verhuschtes Mädchen auf diesem Stuhl und wünschte mich nur noch weit weg. Nach diesem Gespräch stürmte ich wutentbrannt in mein Büro und schloss mich eine halbe Stunde lang ein. Das Heulen verkniff ich mir an dieser Stelle. Irgendwie bekam ich den restlichen Donnerstag und auch den Freitag rum. Doch ich war ständig in Alarmbereitschaft. Wenn das Telefon klingelte, zuckte ich zusammen. Wenn jemand an meine Tür klopfte, betete ich, dass nicht er es sei.


Als endlich Wochenende war, atmete ich auf. Ich wollte mich so richtig ausruhen und entspannen und all diese Negativität von Arbeit abschütteln. Für Samstagabend war eine Karnevalsveranstaltung geplant und ich hatte Karten dafür. Ich freute mich drauf und auf die Abwechslung, auf die Sketche und darauf, dass sich mit dem Lachen viel Anspannung in mir lösen würde. Der Saal war voll. Die Stimmung karnevalstypisch ausgelassen und auch ein bißchen drüber. Und plötzlich mitten in einem Sketch sah ich nicht den Redner auf der Bühne, sondern den Chefarzt. Ich sah ihn wild gestikulieren und ich hörte ihn mit seiner unverkennbaren Stimme laut brüllen. Ich fing an, zu schwitzen, mein Herz raste, ich bekam schlecht Luft. Ich wollte nur noch raus aus diesem Saal. Gott sein Dank saßen wir ganz in der Nähe des Ausganges, und Gott sei Dank (zumindest für diese Situation) war ich Raucherin und hatte einen guten Grund, raus zu gehen. Ich flüchtete mich an die frische Luft. Mir war sofort klar, was passiert war: Ich hatte eine Panikattacke. Nach all den Jahren panikattackenfrei hatte ich wieder eine. Ich hätte heulen können. Betrübt und nicht mehr ganz so locker blieb ich bis zum Ende der Prunksitzung und ging noch vor dem ersten Tanz mit der Entschuldigung „Ich habe Kopfschmerzen.“ nach Hause. Dort ging ich nur noch ins Bett. Ich war fertig.


Der Sonntag verlief anfangs recht entspannt, doch je näher der Montag rückte, desto mehr wuchs meine Unruhe, desto mehr spürte ich Angst. Bis zum Abend war ich so aufgelöst, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Mein Mann bemerkte mein Unwohlsein und wir setzten uns hin und sprachen darüber. Plötzlich brachen alle Dämme, ich weinte und alles sprudelte aus mir heraus. Meine Angst schlug in Wut um. Wut auf den unmöglichen Chefarzt. Wut auf mich, dass ich nicht in der Lage war, mich zu verteidigen. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich so nicht arbeiten will. Dass ich mir so meinen Job als Psychologin nicht vorgestellt habe. Dass ich nicht sechs Jahre studiert habe, um mich so behandeln zu lassen. Wir fassten einen Entschluß: Ich gehe Montag zur Arbeit und spreche mit meiner Psychologenkollegin. Ich wollte ihr mitteilen, dass dieser Montag mein letzter Tag in der Klinik sein würde. Dass ich zum Feierabend all meine persönlichen Dinge mit nach Hause nehmen würde. Und dass ich am Dienstag mir einen Krankenschein holen und anschließend die Kündigung hinterher schicken würde. An dem Abend war ich erleichtert. Erleichtert, da ich wusste, ich musste nur noch einen Tag dort durchhalten. Erleichtert, weil ich mich dem Konflikt nicht offen stellen musste, da mir von mehreren Kollegen davon abgeraten wurde. Erleichtert, dass mein Mann voll und ganz hinter mir und meiner Entscheidung stand. Und so zog ich diesen Plan durch.


Womit ich nicht gerechnet hatte, ich musste aufgrund meines Ausscheidens noch einmal einen Laufzettel abarbeite. Unter anderem auch ein letztes Gespräch mit dem Chefarzt war da vorgesehen. Der Gedanke, dass ich dieses Gebäude noch einmal betreten und ihm gegenüber stehen muss, war schrecklich. Tage vor diesem Termin fühlte ich mich extrem schlecht. Doch ich wollte mir nicht die Blöße geben und es irgendwie anders lösen. Ich ging hin. Als letztes von meinem Laufzettel wollte ich zu ihm. Ich ging zu seiner Sekretärin, meldete mich an. Sie sagte, ich solle den Zettel einfach in sein Fach legen, er würde mich nicht sehen wollen. Mir rutschte raus: „Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ und weg war ich. Bis heute impfe ich meinen Mann, dass, wenn ich mal in einer medizinischen Notsituation bin, er alles dafür geben soll, dass ich nicht in diese Klinik eingewiesen werde. Das Erlebnis sitzt tief in mir.


Nachdem ich in der Klinik gekündigt hatte, stand ich ohne Job da. Mir wurde meine Fehlentscheidung schmerzlich bewusst, hatte ich doch in der Universität einen wundervollen, wertschätzenden Empfang gehabt. Via E-Mail nahm ich nochmals Kontakt zu dem Leiter der Fakultät auf und schilderte ihm mein Missgeschick und meine Erfahrungen. Ich bat ihn, wenn die Stelle noch nicht wieder besetzt wurde, um eine zweite Chance. Bis heute habe ich keine Antwort von ihm erhalten.


Was habe ich nun daraus gelernt?


Bis zu diesem Erlebnis traf ich den Großteil meiner Entscheidung auf Fakten begründet und mit meinem Verstand. Auch in diesem Fall. Und bis dahin hatte ich wohl noch nie vorher solch riesigen Unterschied zwischen meinem Gefühl und meiner verstandesmäßen Entscheidung gespürt. Nie zuvor habe ich mir Gedanken über mein Bauchgefühl gemacht. Entweder weil ich es nicht hatte oder weil ich es nicht bewusst wahrnahm. Diese Entscheidung und die erlebten Wochen änderten meine Art, zu entscheiden. Ich fing an, mich mit dem Thema Intuition intensiver auseinanderzusetzen. Auf der theoretischen Ebene erfuhr ich viel darüber, doch ich konnte mir nur schwer die Praxis vorstellen. Eines Tages stieß ich auf eine Übung im Podcast von Britta Kimpel. Mit dieser Übung erforsche ich noch immer mein Bauchgefühl und lausche, was es mir zu sagen hat. Ich habe dir diese Übung als MP3-Datei eingesprochen. Du kannst sie dir kostenlos hier herunterladen.


Welche Erfahrungen konntest du bisher mit deiner Intuition machen?


Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit!


Herzliche Grüße

Wenke Kroschinsky

M. Sc. Psychologin


PS: Wenn du dich noch intensiver für das Thema Intuition interessierst, lies gerne auch diesen Blogartikel von mir.

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