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  • wenkekroschinsky

Faul sein

Vor einigen Tagen saß ich am späten Nachmittag auf unserer Terrasse mit einer Tasse Kaffee. Unser Kater lag neben mir auf einem Stuhl und schlief. Ich beobachtete seine regelmäßigen Atemzüge. Ab und zu blinzelte er mich verträumt an, räkelte sich genüsslich und schlief weiter. Ich beneidete ihn darum, wie er, ohne den Sinn für verstreichende Zeit, daliegen konnte. Es regte sich der Wunsch in mir, es ihm gleich zu tun. Mich hin zulegen, die warme Sommerluft riechen, den Wind auf der Haut spüren, die Vögel zwitschern hören. Sofort schossen tausend Aufgaben durch meinen Kopf, die ich noch zu erledigen hatte. Es meldete sich eine mahnende Stimme: „Dafür hast du keine Zeit. Du musst noch Wäsche waschen. Du musst noch Rasen mähen. Du musst noch Unkraut zupfen. Wenn du dich jetzt hinlegst, wirst du nie fertig. Du brauchst dich nicht zu wundern, wenn du nicht vorwärts kommst. Dein Mann legt sich auch nicht einfach mal so hin. Sei nicht so faul.“ Da war es, dieses böse Wort: Faul. Für mich, und sicher für viele andere Menschen auch, bedeutet faul sein etwas Negatives. Wir sind in einer stark leistungsorientierten Gesellschaft aufgewachsen. Schon als kleine Kinder mussten wir pünktlich aufstehen, damit unsere Eltern nicht zu spät zur Arbeit kommen. In der Schule sollten wir lernen und Hausaufgaben machen, um gute Noten zu bekommen. Später im Arbeitsleben waren die Mitarbeiter, die immer pünktlich Feierabend machten, die Faulen.

„Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen stets die faulen Leute.“

Zitat nach Christian Felix Weiße

Faulheit laut Duden bedeutet die Unlust, sich zu betätigen. Verwandt ist Faulheit mit dem Wort Fäulnis, also die Zersetzung organischer Stoffe, welches wir auch mit Sterben gleichsetzen. An dieser Stelle möchte ich auch gleich mal von meiner Recherche zu Zitaten bezüglich Faulheit berichten. Es gibt kaum positive Aussagen darüber. Es scheint seit vielen Jahrhunderten schon als eine negative menschliche Eigenschaft angesehen zu sein. Selbst im Katholizismus wird Faulheit als eine der sieben Todsünden genannt. Diese Fakten haben mich tatsächlich sehr nachdenklich gemacht und ich wollte mal genauer hinschauen.

Bei vielen heutigen psychischen Erscheinungen und psychischen Erkrankungen lohnt es sich, ein Blick zu unseren evolutionären Ahnen, die Steinzeitmenschen, und deren Lebensweise und Lebensbedingungen zu werfen. Dort findet sich zwei Seiten der Faulheit. Auf der einen Seite war Faulheit ein Überlebensgarant, also etwas Positives. Unser Körper versucht, so wenig Energie wie möglich zu verbrennen, um die vorhandenen Ressourcen so lange wie möglich nutzen zu können. Denn für unsere steinzeitlichen Vorfahren musste jede Kalorie, die aufgenommen werden wollte, hart erkämpft werden. Die Beute musste in kilometerweiten Fußmärschen gefunden, mit schnellen Sprints gefangen, im kräftezehrenden Kampf erlegt, eigenhändig zerlegt und zu guter Letzt zubereitet werden. So ist es durchaus sinnvoll, dass unser Organismus versucht, solange wie nur möglich von diesen Nährstoffen zu zerren und das gelingt ihm, wenn er so wenig wie möglich Kalorien verbrennt, also sich so wenig wie möglich bewegt. Auf der anderen Seite waren die Faulen in zusammenlebenden Gemeinschaften die, die das Überleben des Rudels riskierten. Die, die sich nicht an der Essensbeschaffung beteiligten, aber sich von den anderen Essen beschaffen ließen, schmälerten die Chance, dass alle gleichermaßen satt werden. Möglicherweise wurden diese faulen Menschen recht schnell aus der Gruppe ausgestoßen, da sie keinen Nutzen hatten und nur zusätzlicher Ballast waren. Somit waren wir Menschen von jeher gezwungen, einen optimalen Mittelweg zwischen dem Nichtstun und der Arbeit zu finden. Bei unseren Vorfahren sah das in etwa so aus: Beute fangen, essen, ausruhen, Beute fangen, essen, ausruhen. Das hört sich in meinen Ohren total relaxt an.

Denn schauen wir uns unsere heutige Lebensweise an, finden wir kaum noch Gemeinsamkeiten mit den Steinzeitmenschen. Auch wir müssen essen, jedoch bekommen wir unser Essen weitaus leichter als noch vor ein paar tausend Jahren. Sicherlich ist auch das Einkaufen im Supermarkt oftmals ein Kraftakt, aber wohl eher für unser reizüberflutetes Gehirn als für unseren Körper. Das Bedürfnis, sich nach dem Essen auszuruhen, haben die meisten von uns. Viele klagen über das bekannte Mittagstief. Jedoch gönnen sich viele diese Ruhephase nicht. Manche, weil sie denken, sie dürfen es nicht, andere, weil ihre Arbeitsstrukturen eine solche Pause nicht hergeben. Und wie sieht es in den restlichen Stunden unseres Tages aus? Wo der Steinzeitmensch gemütlich an seinem Feuer saß und seine Sperre spitzte, hetzt der Neuzeitmensch von der Arbeit zu seinen Kindern, mit den Kindern noch schnell etwas einkaufen und dann nach Hause. Und dann Putzen, Kochen, Waschen, Kinder zum Hobby fahren, Katze zum Tierarzt bringen, Rasen mähen, mit Oma telefonieren, Rechnung überweisen, Klamotten im Internet bestellen, das Neueste bei Facebook checken, das Auto waschen, den Urlaub aussuchen, Konzertkarten bestellen, Sport machen und so weiter.

Das was uns am meisten von unseren Vorfahren unterscheidet, ist nach meiner Meinung die Menge an Zeit, in der wir unser Gehirn beschäftigen. Nicht nur unser Körper benötigt Pausen, auch unser Gehirn braucht Zeiten, in denen es gar nicht oder nur sehr wenig beansprucht wird. Die meisten von uns leben in einer Umwelt der totalen Reizüberflutung. Ständig prasseln über Fernsehen, Facebook, Emails, Gespräche, Straßenverkehr Informationen auf unser Gehirn ein, welche verarbeitet und kategorisiert werden müssen und unser Gehirn muss immer wieder neu entscheiden, auf welche Information wie reagiert werden muss. Die Flut dieser heutigen Sinneseindrücke ist unser Gehirn nicht gewachsen. Es entsteht Stress und chronisches Überforderungserleben, welche sich wiederum auf vielfältige Art und Weise negativ auf den gesamten Körper auswirken. Auch psychische Erkrankungen können durch einen ständigen Stresspegel und durch langfristige Reizüberflutung ausgelöst werden. Von daher tut es unseren Gehirnen und unserer physischen Gesundheit gut, immer wieder auch mal nichts zu tun zu haben.


„Um nichts zu tun, muss man oft sehr viel tun.“

Zitat nach Anke Maggauer-Kirsche

Wir haben augenscheinlich das Maß der Dinge verloren. Eine ausgewogene Balance zwischen An- und Entspannung ist nur bei wenigen Mitmenschen zu finden. Doch was bedeutet eine ausgewogene Balance in Zahlen? Nach einer Faustregel sucht man da vergeblich. Manche Menschen sind belastbarer und leistungsfähiger als andere. Manche benötigen mehr Zeit, um ihre Akkus aufzutanken. Jedoch schickt uns vor allem unser Körper Signale, wenn er zu lange im Stress war. Das können Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Magen- und Darmbeschwerden, Herzrasen sein. Auch wenn man immer wieder gereizt auf Kleinigkeiten im Alltag reagiert, könnte das ein Zeichen von permanenter Überforderung sein. An diesem Punkt sollten wir handeln und Pausen einlegen. Besser ist es natürlich, wenn wir täglich darauf achten, uns ausreichend zu erholen und so körperliche und psychische Beschwerden gar nicht erst entstehen.

„Ein Faulpelz ist ein Mensch, der sich keine Arbeit damit macht, sein Nichtstun zu begründen.“

Zitat nach Gabriel Laub

Ich bin gerne auch mal faul. Und auch von anderen höre ich, dass sie immer mal wieder nichts tun. Doch anstatt diese Faulheit als Zeit des Krafttankens so richtig auszukosten, machen wir uns innerlich selbst Vorwürfe und verfallen in Gedanken, dass wir doch die Zeit besser und produktiver nutzen könnten. Wir halten uns vor Augen, was wir alles (mal wieder) nicht geschafft haben und dass wir unsere Zeit sinnlos vertrödeln würden. Wir fühlen uns traurig und wütend und der positive Effekt der Faulheit kann sich nicht einstellen. Zurück bleibt anstatt einem guten Gefühl und einem erholten Körper und Geist, ein unzufriedener, schlecht gelaunter Mensch.

„Wer nicht richtig faulenzen kann, der kann auch nicht richtig arbeiten.“

Aus Sizilien

Da sitze ich nun neben meinem Kater, der von all meinen Überlegungen nichts weiß, der noch nicht einmal eine Ahnung von Faulheit hat. Der einfach nur im Moment lebt, sein Bedürfnis nach Ruhen ohne es hinterfragen zu können, nachgibt, der sich keine Sorgen um seine nächste Mahlzeit macht. Er liegt einfach nur da, atmet, nicht mehr und nicht weniger. Und dann mache ich etwas total verrücktes: Ich lege mich auf die Gartenbank, schließe die Augen, atme und bin achtsam mit dem was ich spüre, was ich höre und was ich rieche.

Ich wünsche Dir einen faulen Tag!

Herzliche Grüße,

Wenke Kroschinsky

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