Die Verhaltensanalyse ist in der Verhaltenstherapie ein zentrales Werkzeug, mit dessen Hilfe sowohl dysfunktionale Gedanken und Verhaltensweisen aufgedeckt als auch mögliche Lösungsstrategien abgeleitet werden können. Selbstverständlich kann die Verhaltensanalyse nicht nur in der Therapie Anwendung finden. Oft bemerken Klienten, dass etwas immer wieder schief läuft, sie haben aber keine Idee, warum das so ist und wie sie dieses Problem lösen könnten. Hier in diesem Beitrag möchte ich Ihnen anhand eines Beispiels das Vorgehen bei einer Verhaltensanalyse erklären.
Bei der Verhaltensanalyse werden verschiedene Ebenen unterschieden. Die Situation, in der ein bestimmtes, meist störendes Verhalten auftritt. Die Gedanken, welche uns in dieser Situation begleiten. Die körperlichen Reaktionen, die auftreten. Das Gefühl, was wir empfinden. Natürlich das Verhalten, welches von aussen beobachtbar ist. Und letztendlich die Konsequenz, welches aus jedem Verhalten resultiert. Schauen wir uns die Ebenen nach einander am Beispiel einer Trotzreaktion einer Frau an.
Die Situation
Die Ehefrau steht an der Spüle und wäscht das Geschirr ab. Der Küchenbereich ist zum Wohnzimmer hin offen. Der Mann sitzt auf der Couch und schaut sich eine Fernsehsendung an. Die Geräusche, welche beim Abwaschen entstehen, scheinen ihn zu stören und er fordert seine Frau auf, doch etwas leiser zu sein, er verstehe kein Wort und er möchte die Sendung unbedingt sehen und hören.
Die Gedanken der Frau
Na toll! Der gnädige Herr sitzt gemütlich auf der Couch, während ich hier schufte. Er hätte mir ja auch mal helfen können. Dann könnten wir gemeinsam Fernsehen. Wie kann man entspannen, wenn sich noch das dreckige Geschirr türmt. Jeden Abend stehe ich alleine mit der Küchenarbeit da. Er kommt gar nicht auf die Idee, von sich aus mir zu helfen. Merkt er denn gar nicht, wie unmöglich er sich verhält? Wenigstens fragen könnte er ja mal. Ich bin nur seine Hausfrau, nein, sein Mutterersatz. Was ich gerne möchte, das interessiert ihn sowieso nicht. Ich könnte platzen. Irgendwann kommt der Tag, da mache ich gar nichts mehr. Vielleicht sollte ich mich von ihm trennen. Schlechter gehen würde es mir mit Sicherheit nicht. Ich könnte dieses dämliche Geschirr gegen die Wand schmeißen.
Die körperlichen Reaktionen
Sie spürt, wie sich ein innerlicher Druck aufbaut, ausgehend von der Magengegend klettert die Anspannung hoch bis zum Hals. Dieser fühlt sich wie zugeschnürt an, als ob ein Kloss darin steckt. Gleichzeitig vibriert sie innerlich, als ob Strom durch ihren Körper fliesst. Ihr Herz schlägt schneller und sie kann nur noch flach in die Brust atmen. Ihr Nacken wird hart. Auch der Kopf fühlt sich voll an.
Die Gefühle
Die Frau fühlt Wut, Ohnmacht, Verständnislosigkeit, fühlt sich gekränkt und unfair behandelt.
Das Verhalten
Ohne sich ihre Gefühle und Gedanken anmerken zu lassen, beendet sie den Abwasch. Danach geht sie mit den Worten „Ich geh jetzt ins Bett.“ in Richtung Schlafzimmer. Der Mann ruft ihr noch hinterher, ob alles in Ordnung sei, sie knallt als Antwort die Tür zu.
Die Konsequenz
Indem die Frau das Zimmer verlässt und sich ausser Sichtweite ihres Mannes begibt, reguliert sie ihre Wut herunter. Sie glaubt oder hofft, dass ihr Mann an ihrem Ton und daran, dass sie die Tür fest zugeschlagen hat, merkt, dass sie sauer ist und er ein schlechtes Gewissen bekommt. Sie hofft, dass es ihm auch schlecht geht. Dieses Rachegefühl tut ihr gut und lässt die Wut noch weiter schwinden. Gleichzeitig geht sie einem offenen Konflikt mit ihm aus dem Weg. Langfristig gesehen wird sich das Verhalten des Mannes wohl nicht ändern. Er weiss nichts von den Gedanken seiner Frau und ist sich nicht bewusst, ein Fehler gemacht zu haben. Somit wird er wahrscheinlich nie von sich aus ihr seine Hilfe beim abendlichen Aufräumen anbieten. Die Wut der Frau wird sich immer öfter und heftiger in ihr aufbauschen, ihre Reaktionen werden barscher und vorwurfsvoller ausfallen. In diesem Teufelskreis gefangen, werden beide keine Chance haben, diesen Konflikt funktional zu lösen.
Möglichkeiten der Veränderung
Achtsamkeit
Sowohl die Gedanken als auch die körperlichen Reaktionen und die daraus resultierenden Gefühle möchten Beachtung haben. Sie wegzudrücken oder unkontrolliert auszuleben führt meist nicht zum erwünschten Ziel. Achtsamkeit bedeutet in diesem Beispiel, dass die Frau noch während des Abwaschens tief Luft holen und beobachten könnte, was sich da gerade in ihrem Kopf abspielt. Ohne diese Gedanken zu bewerten, ohne diese als richtig oder falsch einzuordnen. Einfach nur wie von aussen zu schauen und wahrnehmen. Hilfreich kann dabei sein, wenn sie tief in den Bauch einatmet.
Die Situation verlassen
Die Situation zu verlassen war nicht die schlechteste Entscheidung. So verhindert sie eine überschiessende Reaktion gegenüber ihrem Mann, welche ihm vielleicht Unrecht tun würde und einen handfesten Streit provoziert, wo sich beide unverstanden fühlen. Jedoch sollte sie es dabei nicht belassen.
Raus aus dem Teufelskreis der Gedanken und Gefühle
Mittels ihrer Gedanken lässt die Frau ihre Gefühle hoch kochen. Und umso wütender sie wird, je mehr negative Gedanken bezüglich des Verhaltens ihres Ehemannes kommen ihr in den Sinn. Ein Kreislauf entsteht. Eine Möglichkeit wäre, wie auch schon oben erwähnt, die Situation zu verlassen. Um sich nun von den dysfunktionalen Gedanken distanzieren zu können, könnte die Frau eine Achtsamkeitsübung mit Hilfe ihrer fünf Sinne probieren. Dafür setzt sie sich an einen ruhigen Ort, fixiert einen bestimmten Punkt in ihrem Sichtfeld und beschreibt still, welche Dinge sie sieht, hört und spürt. Diese Übung dauert nur wenige Minuten und hilft uns, unseren Geist und unseren Körper zu beruhigen.
Reflexion
Sobald wieder geordnete Gedanken möglich sind, sollte sie überlegen, was genau ihre Wut ausgelöst hat. Hierbei kann die oben durchgespielte Verhaltensanalyse eine grosse Hilfe sein. Viele sind der Meinung, dass bestimmte Situationen, Ereignisse oder Menschen unsere Gefühle auslösen. Dem ist aber nicht so. Unsere Gedanken machen das Aussen erst zu etwas Gutem oder Schlechtem. Unser Gehirn ist so geschaffen, dass es alles in positiv oder negativ einordnet. So wurde und wird unser Überleben gesichert. Die Frau sollte sich klar machen, was genau sie kränkt, welches Bedürfnis bei ihr nicht befriedigt wird und was sie sich von ihrem Mann wünscht. Erst wenn wir für uns erkannt haben, was bei uns wie wirkt, können wir es dem Anderen vermitteln.
Perspektivwechsel
Oft gehen wir davon aus, dass unsere Mitmenschen die gleichen Wertvorstellungen haben wie wir selbst. Besonders in Partnerschaften wird angenommen, dass der Andere mit unserer Meinung und Einstellung übereinstimmen muss. Leider ist das nicht immer der Fall. In unserem Beispiel könnte es sein, dass dem Mann seine Erholung wichtiger ist, als eine aufgeräumte und saubere Küche. Vielleicht reicht es ihm, wenn das Geschirr jeden zweiten Tag abgewaschen werden würde. Vielleicht hat er eine andere Vorstellung von Ordnung und Sauberkeit als seine Frau. An dieser Stelle ist ein Perspektivwechsel hilfreich. Möglicherweise haben die Frau und der Mann sich noch nie über ihre Werte und Erwartungen abgestimmt. Dies sollte ebenso Thema eines Gespräches sein wie die oben genannten Wünsche der Frau.
Sozial kompetent das Gespräch suchen
Nachdem die Frau nun weiss, was sie so in Rage versetzt hat, sollte sie das Gespräch mit ihrem Mann suchen. Dabei sollte ihr bewusst sein, dass sie zwar ihre Wünsche vortragen kann, dass sie allerdings kein Anrecht auf die Erfüllung dieses Wunsches hat. In Beziehungskonflikten geht es immer darum, einen Kompromiss zu finden. Wie könnte sie nun vorgehen? Sie sollte immer in der Ich-Form sprechen. Sie sollte eindeutig ihre Gefühle benennen und konkretisieren, welches Verhalten ihres Mannes sie geändert haben möchte. Das könnte sie so formulieren: „Ich war gestern sehr wütend, weil du mir bei dem Abwasch nicht geholfen hast. Ich wünsche mir, dass wir abends die Hausarbeit gemeinsam erledigen und danach noch Zeit miteinander verbringen können. Ich fühlte mich unfair behandelt, als du mich batest, leiser zu sein, denn ich hätte sehr gerne mit dir gemeinsam diese Fernsehsendung geschaut. Ich fühlte mich gekränkt, weil es mir so vorkam, als ob ich in deinen Augen deine Putze bin. Was meinst du? Können wir in Zukunft die Arbeit abends gemeinsam erledigen?“
Sie bleibt bei sich, spricht in der Ich-Form. Sie nennt ihre Gefühle. Sie beschreibt sein konkretes Verhalten, welches sie stört. Sie bleibt dabei vorwurfsfrei, ihr Ton sollte freundlich sein. Wie schon gesagt, nun liegt es an dem Mann zu entscheiden, ob er ihrer Bitte nachkommen möchte.
Ich hoffe, dieses Beispiel konnte Ihnen eine Vorstellung von der Vorgehensweise bei einer Verhaltensanalyse geben.
Sie haben noch Fragen? Sie möchten für ein eigenes individuelles Problem eine Verhaltensanalyse durchspielen? Schreiben Sie mir, wenn Sie meine Unterstützung wünschen. Ich bin gerne für Sie da.
Herzlichst, Wenke Kroschinsky
Comments