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Warum lästern wir?

wenkekroschinsky

Immer mal wieder ertappe ich mich dabei, wie ich mit Freundinnen über andere, nicht anwesende Menschen lästere, also über sie spotte oder äußere, dass ich ihre Denk- und Verhaltensweisen nicht verstehe. Laut wissenschaftlichen Studien lästern wir sogar in privaten Gesprächen mehr als ein Drittel der gesamten Gesprächszeit. Warum tue ich das? Was bringt es mir, über jemand Abwesenden herablassend zu sprechen? Wieso bilde ich mir überhaupt eine Meinung zu etwas, von dem ich niemals alle Fakten kennen kann? Und wie würde ich es finden, wenn ich erfahren würde, dass über mich hergezogen wird?

„Niemand spricht in unserer Gegenwart so von uns wie in unserer Abwesenheit.“

Blaise Pascal; Französischer Mathematiker, Physiker und Philosoph (1623-1662)

Wenn ich mich und meinen Gesprächspartner beim Lästern beobachte, fällt mir als Erstes auf, dass sich bei mir ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen einstellt. Ich fühle mich meinem Lästerfreund verbunden. Wenn zwei Menschen miteinander vertraulich kommunizieren, bilden sie eine Art soziale Kleingruppe und Gruppen unterliegen immer auch dem Mechanismus, sich von anderen Gruppen abzugrenzen. Denn eine Gruppe ist nur eine Gruppe, wenn es nicht auch eine außenstehende Gruppe gibt. Das Lästern zieht solch Grenzen zwischen zwei Gruppen und macht deutlich: „Wir gehören zusammen, der andere gehört nicht dazu. Wir haben die gleichen Ansichten und Meinungen und fühlen uns so einander näher und vertrauter.“ Das wiederrum erfüllt unsere Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit, Dazugehörigkeit und Anerkennung.

„Ich behaupte, daß, wenn alle Menschen wüßten, was sie voneinander sagen, es nicht vier Freunde auf der Welt gäbe.“

Blaise Pascal; Französischer Mathematiker, Physiker und Philosoph (1623-1662)

Manchmal merke ich auch, dass ich eigentlich auf denjenigen, über den ich gerade missgünstig rede, neidisch bin. Dass dieser Jemand irgendetwas hat oder macht, was ich mir selbst auch wünsche und vielleicht auch schon länger daran arbeite. Neid ist erst einmal ein unangenehmes Gefühl. Wir möchten etwas haben, was ein anderer hat. Damit verbunden ist die Erkenntnis, warum der andere dies hat und wir nicht. Zum Beispiel weil der Andere mehr Überstunden macht, somit mehr Geld verdient und sich Dinge leisten kann, die mein Budget gerade nicht hergeben. In mir entsteht also eine Dissonanz: Auf der einen Seite möchte ich etwas haben, was ein anderer hat, auf der anderen Seite bin ich nicht bereit dafür oder habe nicht die körperlichen und psychischen Voraussetzungen, für das was ich da haben möchte, etwas zu investieren, so wie der andere es auch macht. Dissonanzen zu haben mag unser Gehirn überhaupt nicht. Sie müssen so schnell wie möglich abgebaut werden, sonst gefährden sie unser Selbstwertgefühl. Eine Möglichkeit, diese Dissonanzen zu verringern, ist das Lästern. Damit werten wir den Anderen, das was er macht und das was er hat, ab. Somit verringert sich auch unsere Sehnsucht nach dem, was der Andere hat und wir nicht, die Dissonanz verschwindet und unser Selbstwertgefühl kann sich wieder stabilisieren.

„Indem man über andere schlecht redet, macht man sich selber nicht besser.“

Konfuzius; chinesischer Philosoph (551-479 v. Chr)

Kann das Lästern also etwas über mich und meine Persönlichkeit aussagen? Ja! Das fanden die Forschungsgruppe um Dustin Wood heraus. Je freundlicher ich im Allgemeinen bin und je höher meine Lebenszufriedenheit ist, desto positiver schätze ich andere Menschen ein. Auf der anderen Seite zeigte sich, dass, wenn ich schlecht über Menschen rede, neige ich eher zu Depressivität und Hartherzigkeit.

„Sprich nie Böses von einem Menschen, wenn du es nicht gewiß weißt, und wenn du es gewiß weißt, so frage dich: Warum erzähle ich es?“

Johann Kaspar Lavater (1741 - 1801); Schweizer, evangelischer Theologe, Religionsphilosoph und Schriftsteller

Ursprünglich könnten Lästereien tatsächlich dem reinen Informationsaustausch gedient haben. Wie sollte man sich in bestimmten Situationen verhalten und welche Konsequenzen hat dann unser Verhalten. Ohne diesen Informationsaustausch mittels unserer Sprache, könnten wir nur über das Beobachten neue Verhaltensweisen lernen. Je nachdem, welche Ergebnisse bestimmte Handlungen bringen, bewerten wir die Handlungen in gut und schlecht. Diese Einschätzungen sichern unser Überleben. Dabei geht es nicht nur um lebensgefährliche Situationen, sondern auch um die Weitergabe von gesellschaftlichen Werten, Normen und Erwartungen an unser Benehmen in der Öffentlichkeit. Halten wir uns an diese Regeln, können wir mit Anerkennung oder zumindest mit Nichtausschluss aus der Gruppe rechnen. Durch die Weitergabe dieser Beobachtungen mittels unserer Sprache erhalten wir einen gewaltigen Vorteil und können unsere Weiterentwicklung viel schneller vorantreiben als zum Beispiel Tiere, welche viel eingeschränkter miteinander kommunizieren können. Wir lernen also nicht nur aus den Fehlern der Anderen durch das Beobachten, sondern wir lernen auch, indem uns jemand anderes erzählt, was er beobachtet hat. Und wir erfahren noch mehr. Allein das Wissen darum, dass andere ein Fehlverhalten von mir weitertratschen sorgt dafür, dass ich mich bemühe, mich Gruppenkonform zu zeigen und zum Beispiel egoistische Belange unterdrücke. Darüber hinaus wurde in Studien gezeigt, dass negativ auffallende Menschen länger im Gedächtnis bleiben als Menschen, die gute Taten vollbrachten. Wer will schon, dass er aufgrund seines negativen Verhaltens in Erinnerung bleibt?

Weiterhin erfahren wir durch das Sprechen über nicht Anwesende, ob es sich um einen guten oder bösen Menschen handelt, oder, um es etwas abzumildern, ob dieser Mensch mit mir selbst kompatibel erscheint oder ob wir wohl mit ihm häufiger in Konflikt geraten würden. Durch diese Informationen können wir schon vor einem intensiven Kennenlernen entscheiden, ob diese Person uns guttut oder nicht und unser Verhalten danach ausrichten. Lästern dient demnach auch dazu, andere zu warnen und zu schützen beziehungsweise uns selbst nicht zu gefährden.

„Urteile nie über jemanden, in dessen Schuhen du nicht mindestens zwei Wochen gesteckt hast.“

Indianisches Sprichwort

Das heißt ja, dass das Lästern vielleicht gar nicht so schlecht ist, wie sein Ruf ihm vorauseilt. Schädlich wird das Lästern, wenn dem Menschen, über den gelästert wird ein psychischer oder physischer Schaden entsteht. Oder wenn wir uns nicht hinterfragen, warum wir denn gerade lästern und welche eigenen Motive hinter unserem Lästern stecken. In vielen TV-Sendungen wird das Abwerten oder das Bewerten von Menschen als Verkaufsschlager genutzt. Es wird als „normal“ dargestellt, dass wir öffentlich über jeden sagen dürfen, was uns gerade durch den Kopf geht. Wir stumpfen ab und nutzen Bewertungen von Personen ohne in die Reflexion zu gehen, was das über uns aussagt, was das mit der Person macht und welches Ziel wir damit erreichen wollen. Wäre es nicht toll, wenn wir durch das Lästern feststellen: „He, der ist ja so anders als ich.“ und uns dann fragen: „Warum ist das so? Warum denkt und handelt er so?“ Kannst du dir vorstellen, dass du dich für den anderen interessierst und neugierig seine Sichtweise erfragst? Gäbe es dann vielleicht die Möglichkeit, dass wir einen Schritt aufeinander zugehen und unseren eigenen Horizont erweitern können? Was wäre alles möglich, wenn wir uns mutig aus unserer kleinen Gruppe herauswagen und voller Unvoreingenommenheit und Wertfreiheit den anderen begegnen?


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Herzliche Grüße,

Wenke Kroschinsky

Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie

Quellen:

Wood, Dustin; Harms, Peter D.; and Vazire, Simine, (2010) "Perceiver Effects as Projective Tests: What Your Perceptions of Others Say about You" (2010). Journal of Personality and Social Psychology

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