Wir alle jammern. Im Durchschnitt zwischen 25- und 30-mal am Tag meckert jeder von uns. Der eine mehr, der andere weniger. Unser Gehirn ist seit tausenden von Jahren darauf trainiert, negative Dinge blitzschnell zu erkennen und entsprechende Handlungen einzuleiten. Dies schützt uns vor potenziellen Gefahren und sichert damit unser Überleben. Von daher ist es gar nicht unnatürlich, dass wir ständig die Schwierigkeiten im Leben sehen.
Doch das Jammern erfüllt auch noch andere Funktionen:
Entlastung
Geteiltes Leid ist halbes Leid. Beschweren wir uns über die Lebensumstände, entlasten wir unsere Psyche. Was man laut ausspricht, kann geordnet, verarbeitet und neu ausgerichtet werden. Sich etwas von der Seele zu reden, wirkt erleichternd, manchmal sogar befreiend: Endlich konnte ich das mal loswerden. Der Zuhörer muss noch nicht mal Lösungen anbieten. Alleine das darüber reden, verschafft dem Jammernden eine gewisse Befreiung von seinen Sorgen.
Sozialen Kontakt knüpfen
Das Sprechen über unliebsame äußere Begebenheiten schafft Verbundenheit. Was wir als doof empfinden, überschneidet sich häufig mit den Sichtweisen der anderen: Regen ist blöd. Stress will niemand. Schmerzen lassen uns leiden. Konflikte in der Partnerschaft hat jeder. Verspätete Busse oder Züge braucht keiner. Sind wir mit anderen Menschen gleicher Meinung, entsteht eine Gemeinsamkeit. Wir fühlen uns dem Gegenüber nahe. Wir vertrauen uns dem Anderen an. Und da wir alle das Bedürfnis nach Bindung und Dazugehörigkeit haben, entwickeln wir Strategien, um dieses Bedürfnis erfüllt zu bekommen. Eine mögliche Strategie ist das Jammern.
Indirekt Hilfe einfordern
Manchen Menschen fällt es schwer, um Hilfe zu bitten. Durch das Jammern klagen wir über unseren unaushaltbaren Zustand und signalisieren, dass wir diesen Zustand gerne ändern möchten. Ein interessierter Zuhörer wird ganz automatisch dem Klagenden Lösungsvorschläge zur Veränderung seiner Situation unterbreiten.
Es kann aber auch sein, dass der Klagende ein körperliches oder psychisches Leid bejammert, um in diesem Zuge von einer Verpflichtung oder Verantwortung befreit zu werden. Beschwere ich mich zum Bespiel über Erschöpfung kann es sein, dass mein Partner das mir verhasste Einkaufen übernimmt.
Das Gegenüber zu einer Handlung zu bringen
Ähnlich wie bei der indirekten Hilfe einfordern, kann Jammern eine Strategie sein, jemanden zu einen bestimmten Verhalten zu bringen. So kommt es vor, dass eine Person sich ständig über einen Zustand in der Beziehung beklagt, in der Hoffnung, dass der Partner diesen Zustand durch sein Verhalten verändert.
Aufmerksamkeit bekommen
Aus unserem Bindungsbedürfnis heraus lechzen wir nach Aufmerksamkeit. Jammern erzeugt bei den Zuhörern häufig Mitleid und Anteilnahme, welche sie durch ihre Mimik und ihre Worte ausdrücken. Solch eine Zuwendung wiederum befriedigt das Bedürfnis nach Bindung. Die Strategie „Jammern“ wird damit belohnt und verstärkt, was heißt, dass der Jammerer noch mehr klagt. Das Jammern um der Aufmerksamkeit willen kann als eine Art Selbstdarstellung betrachtet werden: wenn ich mich ständig beklage, wieviel ich zu tun habe, stelle ich meinen Fleiß heraus; wenn ich oft darüber klage, dass meine Familie mich in der Hausarbeit nicht unterstützt, zeige ich, was für eine gute Mutter ich bin.
Eine ungünstige Angewohnheit
Es gibt Jammernde, die sich gar nicht bewusst sind, wie oft sie jammern. Sie tun dies schon so lange, dass es sich zu einer Gewohnheit etabliert hat. Sie haben jegliche andere Strategien, Kontakt zu knüpfen und eine Kommunikation zu führen verlernt und sich das Dauerjammern zu Eigen gemacht. Für die Zuhörer ist das häufig sehr anstrengend und kann dazu führen, dass der Kontakt zu dem chronisch Jammernden abbricht.
Jammern erzeugt in der Regel ein unangenehmes Gefühl – sowohl bei dem Jammernden als auch bei dem Zuhörer
Die meisten Menschen, die jammern, fühlen sich schlecht. Sie sind traurig oder haben Angst. Manche empfinden auch Wut. Diese Gefühle werden durch das Jammern auf das Gegenüber übertragen: Oder hast du dich schon mal so richtig gut gefühlt, wenn dir jemand sein Leid klagt? Der Zuhörer wird in die negative Gefühlsspirale mit hineingezogen, auch wenn ihn das Thema, über das geklagt wird, gar nicht betrifft.
Und auch der Jammernde selbst empfindet nur kurz ein leichtes Gefühl der Erleichterung. Durch den Fokus auf das Negative im Leben werden eher unangenehme Gefühle hervorgerufen.
Jammern ist ansteckend
Sind wir Jammerern häufig ausgesetzt, tendieren wir auch selbst dazu, öfter zu jammern: oft auch über den Jammerer selbst. So kann sich eine Art Lawineneffekt entwickeln und aus einem Jammerer werden tausende.
In der Psychotherapie finden sich unter Depressiven häufig Jammernde. Menschen, welche an einer Depression erkrankt sind, sind unzufrieden mit sich selbst, mit ihrer Umgebung und sehen ihre Zukunft schwarz.
Wie können wir mit Jammernden umgehen?
1. Zu allererst möchte ich dich dazu einladen, einmal zu beobachten, wie oft und bei wem du selbst jammerst. Beobachte deine Kommunikation mit anderen eine Weile und werde dir bewusst, ob du selbst zur Jammer-Strategie greifst. Wenn ja, reflektiere, was du damit gerne erreichen möchtest und überlege dir Alternativen, um dies zu bekommen.
2. Du kannst, wenn jemand anderes dir die Ohren volljammert, ganz bewusst das Thema wechseln.
3. Du kannst deinen Gegenüber direkt fragen, was er von dir erwartet, wenn er über ein bestimmte Sache klagt: Möchtest du, dass ich mit dir gemeinsam eine Lösung suche? Möchtest du, dass ich einfach nur zuhöre?
4. Wenn jemand möchte, dass du einfach nur zuhörst und du Sorge hast, dass das Jammern nicht aufhört, dann sage dem Klagenden, dass du dir gerne … Minuten für seine Beschwerden Zeit nimmst.
5. Wenn du gerade selbst viel um die Ohren hast und du keine Kapazitäten für das Leid des anderen aufbringen kannst, dann sage dies freundlich, aber bestimmt: „Es tut mir sehr leid. Im Moment habe ich gerade selber viele Sorgen und weiß nicht, wie ich diese lösen soll. Ich brauche meine ganze Kraft, um mich um meine Angelegenheiten zu kümmern.“
Lass mir sehr gerne deine Gedanken zu diesem Thema da und verrate mir, wie du mit Jammernden umgehst.
Herzliche Grüße
Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie
Wenke Kroschinsky
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