Vielen von uns wurde von Kindestagen anerzogen, dass wir auf das Wohl unserer Mitmenschen achten müssen. Dass wir uns im Zweifel selbst zurücknehmen und den anderen den Vortritt lassen. „Man darf nie das letzte Stück Kuchen nehmen.“, kennt ihr sicherlich. „Sei nicht so laut, das stört die Nachbarn.“ „Sei nicht so egoistisch.“ „Teile mit deiner Schwester und deinem Bruder.“ „Geben ist besser als Nehmen.“
Nicht alle dieser Grundeinstellungen sind schlecht, sichern sie uns doch die Dazugehörigkeit zur Gemeinschaft. Das Befolgen dieser Überzeugungen sichert uns die Anerkennung unserer Mitmenschen oder zumindest bewahrt uns die Unterordnung vor Abweisung und Abwertung. Es verschafft Harmonie und Frieden und vermeidet Konflikte und Auseinandersetzungen. Denn letztere könnten bedeuten, dass wir aus unserem Rudel ausgestossen werden und instinktiv wissen wir, dass wir alleine nicht überlebensfähig sind. Wir haben Angst, dass wir nicht wichtig genug sind für die anderen. Wir befürchten, weniger wert zu sein, wenn wir uns widersetzen. Wir bangen, anderen nicht zu gefallen. Um diese Angst nicht zu spüren und um unser Leben in Sicherheit zu wägen, werden wir immer weiter uns selbst für weniger wichtig nehmen als die anderen.
Doch wie bei so vielem macht die Dosis das Gift. Was passiert mit den Menschen, welche ständig ihre Bedürfnisse hinter den Bedürfnissen der anderen stellen? Wie gut ist es, immer wieder die eigene Me-Time zugunsten der Wünsche der Kinder abzusagen? Was macht es mit uns, wenn wir uns immer wieder den Anliegen der anderen unterordnen? Solche Menschen werden früher oder später unzufrieden sein, weil sie nicht die Dinge machen, welche ihnen gut tun und Spass machen. Diese Menschen werden sich überfordern und zu oft über ihre Grenzen hinweg gehen.
Doch auch das andere Extrem ist nicht erstrebenswert: Nur an sich selbst denken, gänzlich ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der anderen Menschen. Es geht darum, eine gesunde Balance zu finden zwischen Selbstfürsorge und das hinten anstellen der eigenen Bedürfnisse zum Wohle von anderen. Wenn ich mich jedoch gut und ausreichend um mich selbst kümmere, dann gelingt mir die Rücksichtnahme auf andere ohne grosse Mühe, ganz automatisch und freiwillig. Warum ist das so? Wenn ich mir ständig meine Wünsche versage, dann lebe ich in einem Mangel und dann ist der Neid, auf das, was die anderen haben, nicht weit. Wenn ich neidisch bin und dem anderen Dinge nicht gönne, dann habe ich auch keinen Sinn dafür, auf ihn Rücksicht zu nehmen oder ihm etwas Gutes zu tun. Habe ich aber das Gefühl, dass ich mir meine Bedürfnisse erfülle, dann muss ich dem anderen um nichts neiden, sondern gönne ihm das, was er hat.
Und es passiert noch mehr mit dir, wenn du dich regelmässig gut um dich selbst sorgst: Du bekommst neue Kraft und Energie. Diese Kraft und Energie kannst du wiederum für dein Kümmern um andere verwenden. Wenn du aber diese Kraft und Energie nicht hast, wie willst du dann anderen helfen?
Bist du schon einmal geflogen? Wenn ja, hast du der Stewardess aufmerksam zugehört, als sie dir erklärte, was du zu tun hast, wenn die Sauerstoffmaske aus der Klappe über dir herunterfällt? In welcher Reihenfolge setzt du die Sauerstoffmaske auf, wenn du ein Kind bei dir hast? Zuerst dem Kind und dann dir, oder umgekehrt? Zu aller erst kümmerst du dich um dich selbst und setzt dir die Sauerstoffmaske auf. Damit stellst du sicher, dass du nicht in Ohnmacht fällst und du dich um hilfebedürftige Menschen in deiner Umgebung kümmern kannst. Fällst du aber aufgrund von Sauerstoffmangel in Ohnmacht, so bist du gar keinem mehr eine Hilfe, im Gegenteil. Verstehst du, was das Übertragen auf deine Selbstfürsorge bedeutet?
Ich möchte dir noch ein anderes Beispiel erzählen. Nehmen wir einmal an, du möchtest eine wunderschöne Blume aus einem Samenkorn ziehen. Du weisst, dass sie den ganzen Sommer über in den schönsten Farben blühen wird. Und du weisst auch, dass das Samenkorn und später die Blume bestimmte Dinge benötigen, um in ihrer vollen Schönheit zu erblühen. Was wirst du tun? Wirst du das Samenkorn irgendwohin legen und hoffen und beten, dass daraus die Blume wird, die auf dem Bild abgebildet ist? Oder wirst du dafür sorgen, dass das Samenkorn die richtige Erde, die richtigen Temperaturen und ausreichend Wasser erhält? Und wenn die Blume schon etwas grösser ist, wirst du es dem Zufall überlassen, ob es regnet und ob andere Pflanzen um ihr herum ihr die Nährstoffe wegnehmen? Oder wirst du aktiv werden, die Blume giessen und störende Pflanzen entfernen? Wirst du der Blume die Schuld geben, wenn sie nicht in ihrer vollen Pracht blüht oder wirst du recherchieren, ob sie an irgendeinem äusseren Mangel leidet? Ich denke, mehr brauche ich nicht zu erklären, oder?
In diesem Artikel möchte ich dich gerne dazu ermuntern, deine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und auch danach zu handeln. Denn ich denke wirklich, dass es erst uns selbst gut gehen muss, bevor wir uns auch gut um andere kümmern können. Wie kann dir das gelingen? Die Antwort ist denkbar einfach und unspektakulär: Immer wieder üben, sich und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Am Anfang wird sich immer wieder eine Stimme melden, welche sagt: „Das kannst du nicht machen.“, „Das ist egoistisch.“, „Das gehört sich nicht.“. Diese Stimme möchte dich schützen. Sie möchte dich davor schützen, dass andere Menschen dich nicht mögen, dass sie dich kritisieren und abwerten. Diese Stimme weiss nicht, dass es dir schlecht geht, weil du immer wieder andere an erste Stelle stellst und dich selbst dabei vernachlässigst. Das ist die Stimme von früher, aus deiner Vergangenheit als du noch ein Kind warst. Vor allem in deiner Kindheit war es für dich überlebensnotwendig, dass du geliebt und versorgt wirst und dafür hast du als Kind instinktiv alles getan. Diese Stimme in deinem Kopf hat sich zu dieser Zeit gebildet und gibt dir Ratschläge, wie du dich am besten in der Gesellschaft verhalten sollst, damit du gemocht wirst. Damals waren diese Ratschläge wichtig für dich, doch heute ist das oft nicht mehr zeitgemäss, es ist vielleicht sogar nicht mehr wahr. Diese Ratschläge passen nicht mehr so wirklich zu einem gesunden Erwachsenen. Wenn du dich dann dieser Stimme widersetzt und das tust, wovon du glaubst, dass es für DICH HEUTE das richtige ist, wird sich womöglich ein ungutes Gefühl bei dir einstellen. Du wirst dich vielleicht schuldig fühlen oder ein schlechtes Gewissen haben. Und vielleicht wirst du aufgrund dieser Gefühle dich wieder gegen dich selbst und für die anderen entscheiden. Und es wird sich dann eine Erleichterung breit machen. Vielleicht fragst du dich dann: Ist das dann nicht das untrügliche Zeichen, dass es richtig ist, eher an die anderen zu denken als an mich selbst? Nein! Die Erleichterung kommt nur, weil die Angst vor der Ablehnung weg fällt. Weil du etwas tust, was du ein Leben lang erprobt hast und sich vertraut anfühlt. Deswegen wirst du erleichtert sein. Um etwas neues zu lernen, um deinem Gehirn beizubringen, dass es ab sofort anders denken soll, musst du dies Üben.
Übe in kleinen Schritten. Anstatt ein ganzes Wochenende dir nur für dich Zeit zu nehmen, versuche es erstmal mit einer Stunde. Anstatt dem Partner zu sagen, dass du nie wieder seine Wäsche waschen wirst, bitte ihn, sich am Samstag um das Mittagessen zu kümmern. Anstatt deiner Arbeitskollegin zu sagen, dass du ab sofort nie wieder ihre vergessene Kaffeetasse in den Geschirrspüler räumst, handle mit ihr einen Küchendienstplan aus.
Mach regelmässig etwas für dich. Mach mit dir selbst regelmässig Termine aus und halte sie auch ein. Date dich selbst. Schreib dir eine Liste mit den Dingen, welche dir gut tun. Geniesse diese Momente mit dir allein von ganzem Herzen. Über die regelmässige Ausführung verschaltet sich dein Gehirn neu und mit jeder Wiederholung wird diese neue Verschaltung stärker. Irgendwann werden sich deine Selbstfürsorge-Übungen automatisiert und ritualisiert haben und du wirst gar nicht mehr darüber nachdenken müssen, ob und wann du diese Dinge tun möchtest. Sei dir selbst die wichtigste Person auf dieser Welt.
Vielen Dank für deine Zeit und deine Aufmerksamkeit, die du mir mit deinem Lesen geschenkt hast.
Lass mir sehr gerne einen Kommentar da oder schreibe mir deine Erfahrungen mit den oben genannten Glaubenssätzen.
Und noch ein Wort zum Schluss: Magst du von mir informiert werden, wenn ich einen neuen Blogpost veröffentliche oder einen neuen Kurs herausbringe oder auch ein kostenloses Angebot habe? Dann ist mein Newsletter genau richtig. Trag dich am besten gleich in das am Ende stehende Formular ein.
Herzliche Grüsse
Wenke Kroschinsky
Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie
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