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  • wenkekroschinsky

Scham und Verletzlichkeit

Scham ist Verletzlichkeit.

Scham ist Bloßstellung.

Scham ist Demütigung.

Scham ist Bedrohung.

Scham ist Angst.


Scham kann Schuldgefühle auslösen.

Scham kann zu Depressionen führen.

Scham lässt dich den Rückzug antreten.

Scham kann zu Unterwerfung werden.

Scham kann Selbstablehnung fördern.


Scham steuert unser Verhalten und unsere soziale Anpassung.


Scham ist ein mächtiges Gefühl, welches den ganzen Körper und das gesamte Denken betreffen kann.


Scham möchten wir unbedingt vermeiden.


Beschämte Menschen suchen sich nur selten Hilfe.


Immer noch wird Beschämung als Erziehungsmethode eingesetzt.


Scham kann uns aber auch schützen. Zum Beispiel davor, verletzt zu werden. Brenè Brown, eine amerikanische Forscherin, widmet sich dem Thema Verletzlichkeit seit vielen Jahren. Erstaunlicherweise fand sie heraus, dass Verletzlichkeit das Leben erst lebenswert und lebendig macht. In diesem Artikel möchte ich aus verschiedenen Blickwinkeln auf das Thema Verletzlichkeit schauen.


Sehr oft nehme ich bei anderen Menschen eine Härte und Kälte wahr. Sie scheinen distanziert, bemühen sich, über den Dingen zu stehen und zeigen sich abgebrüht und unverwundbar. Fühlen sie sich angegriffen, schießen sie mit doppelter Dosis zurück. Was sie wirklich im Inneren bewegt, halten sie verschlossen.


Auch im Beratungskontext kommen häufig Wünsche nach „Ich möchte selbstbewusster auftreten können.“, „Ich möchte mir gewisse Dinge nicht mehr so zu Herzen nehmen.“ und „Ich möchte nicht mehr verletzt werden.“.



Was bedeutet Verletzlichkeit?


Wer verletzlich ist, wird als empfindlich, sensibel, verwundbar und angreifbar beschrieben. Verletzlichkeit wird im Allgemeinen in unserer Gesellschaft als eine Schwäche betrachtet. Immer dann, wenn wir andere an unseren Gedanken und Gefühlen teilhaben lassen, machen wir uns verletzbar, wir machen uns sozusagen seelisch nackig.


Niemand mag es, verletzt zu werden. Die Angst vor Abwertungen und Kritik ist bei vielen Menschen sehr groß und verbunden mit Scham, gehen sie häufig auf Rückzug, sagen lieber nix, bevor sie was Falsches sagen. Scham ist ein lähmendes Gefühl, welches dein Handeln blockiert.


Eine positivere Beschreibung von Verletzlichkeit findet Brené Brown. Sie definiert Verletzlichkeit als die Bereitschaft zu Unsicherheit, zum Risiko und zu emotionalen Erfahrungen. Dies bedeutet, dass, wenn wir unsere Gefühle und Gedanken, unsere Herzensangelegenheiten nach außen tragen, wir das Risiko der Abwertung und Ablehnung der anderen Menschen eingehen. Dafür bekommen wir die Chance auf echte, tiefe Bindungen.



Wie werden wir verletzlich?


Im Laufe unseres Lebens lernen wir die gesellschaftlichen Normen kennen und übernehmen diese in Form von Glaubenssätzen: „Du musst immer fleißig sein.“, „Du musst alles richtig machen.“, „Dich darf niemand abwerten.“, „Du darfst dich nicht streiten.“, „Du bist nicht genug. Die Anderen sind immer besser.“ und noch viele mehr.


Selbstverständlich schaffen wir es nie, diesen Glaubenssätzen stets und ständig gerecht zu werden. Wir sind auch mal faul (und haben dabei ein schlechtes Gewissen). Uns unterlaufen Fehler und wir haben Angst vor der Reaktion der anderen. Nicht alle Menschen können uns leiden und wir fragen uns, was an uns nicht stimmt. Konflikte können nicht vermieden werden und wir befürchten, dass unsere Beziehungen dadurch zerbrechen. Wir vergleichen uns häufiger mit Menschen die mehr haben als wir, die glücklicher sind, erfolgreicher. Dieser Vergleich führt dazu, dass wir uns unvollkommen fühlen, vielleicht sogar als Mensch zweiter Klasse. Um dieses Gefühl abzuschwächen, wollen wir unsere Schwachstellen verbergen, um nicht noch schlechter dazustehen. All dies können wunde Punkte sein. Punkte, die für diese Personen unangenehm und peinlich sind und wo sie verletzt werden können.


Mit den Jahren werden wir immer wieder größeren und kleineren Verletzungen ausgesetzt sein. Je nachdem wir unsere Persönlichkeitsstruktur gestrickt ist, also ob wir zum Beispiel eher emotional stabil oder labil sind, hinterlassen diese Verletzungen Wunden, welche zu Narben werden. Je mehr Verletzungen ein Mensch erfahren musste und je weniger er diesen Verletzungen durch emotionale Resilienz etwas entgegensetzen konnte, desto deutlichere Spuren werden diese Verletzungen hinterlassen.


So ist es recht häufig, dass Mobbingopfer ihr Leben lang eine eher misstrauische Haltung gegenüber ihren Mitmenschen haben und feine Antennen ausbilden, vor möglichen weiteren Kränkungen.



Ist Verletzlichkeit eine Schwäche?


Immer mehr Wissenschaftler und Psychologen sehen Verletzlichkeit als eine Stärke und als eine Eigenschaft, um ein erfülltes und sinnvolles Leben zu führen. Wer sich verletzlich zeigen kann, muss mutig sein, denn er geht das Risiko ein, eine unangenehme emotionale Erfahrung zu machen. Wer seinen Wünschen und Bedürfnissen folgt, muss seine Angst vor der Ablehnung seiner Mitmenschen überwinden. Nur wem es gelingt, mit sich selbst mitfühlend umzugehen und sich selbst zu lieben, kann eigene Verletzungen heilen. Eigene Gefühle zu zeigen und dazu zu stehen, lässt uns authentisch wirken und fördert unsere Beziehungen zueinander.



Welche Vorteile hat es, wenn ich mich verletzlich zeigen würde?


Sich verletzlich und verwundbar zu zeigen, macht uns für andere Menschen sympathisch. Vielleicht hast du das selbst schon bei anderen feststellen können: Menschen, die ihre Gefühle nicht preisgeben, bleiben für uns ein Geheimnis und wir fühlen uns auf Distanz gehalten. Menschen, welche auch mal Tränen zeigen, denen fliegt unser Herz zu, wir fühlen uns mit ihnen verbunden.


Echte Bindungen entstehen, wenn wir authentisch sind. Authentisch zu leben, bedeutet seine eigenen Werte, Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen und auch nach diesen zu handeln. Wer sich authentisch zeigt, macht sich verletzlich. Wir öffnen uns mit unseren Herzensthemen und was uns am Herzen liegt, macht uns verletzlich. Authentizität bedeutet auch, sich in Beziehungen zu offenbaren und so Vertrauen entstehen zu lassen.


Wer glaubt, dass er sich von der Bewertung der anderen abhängig macht, wenn er sich mit seinen verletzlichen Themen zeigt, der irrt. Das Gegenteil ist der Fall. Bin ich immer darauf bedacht, meine Verletzlichkeit zu verbergen, versuche ich stets und ständig meine Fassade aufrecht zu erhalten und tue alles, damit niemand dahinter schauen kann, dann mache ich mich von den Urteilen der anderen abhängig. Dann verhalte ich mich nämlich immer so, wie ich glaube, mich verhalten zu MÜSSEN. Ich werde mich den Erwartungen der anderen immer unterordnen, um ja nicht angreifbar zu sein. Ich bin unfrei in meinem Handeln und Denken, wenn ich mich ständig anpasse, unterordne und nach den Spielregeln der anderen spiele.


Das Aufrechterhalten der Fassade und die Kontrolle über unsere Wirkung im Außen kostet uns eine Unmenge an Energie. Dieser Verlust an Kraft kann bis hin zu körperlichen und/oder psychischen Erkrankungen führen. Mindestens jedoch bedeutet der Energieeinsatz für die Kontrolle, dass wir diese Energie nicht mehr für Dinge übrighaben, die uns am Herzen liegen.


Sich unverletzbar zu zeigen, würde bedeuten, andere Menschen aus unserem Leben auszuschließen. Doch wer wären wir ohne tiefe Beziehungen? Wir wären einsam. Wir fühlten uns allein und unverstanden. Wie können andere Menschen uns verstehen, wenn wir ihnen unsere Gedanken und Gefühle nicht mitteilen? Das Bedürfnis nach Bindung ist eines unsere psychologischen Grundbedürfnisse (siehe auch folgenden Blogartikel). Wird dieses Bedürfnis nicht hinreichend befriedigt, folgen Verbitterung, Angst, Wut, Traurigkeit. Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen aneinander. Der eine mehr, der andere weniger, aber ganz ohne Beziehungen können wir nicht existieren und werden psychisch und physisch krank.


Gelingt es mir jedoch, meine Verletzlichkeit anzuerkennen und auch zu zeigen, dann bin ich frei. Ich akzeptiere, dass ich nicht perfekt bin und kann zu meinen Fehlern stehen. Ich kann damit rechnen, dass einige Menschen mit meinem Verhalten nicht einverstanden sein werden, dass sie mich abwerten werden. Und das ist okay. Ich muss nicht jedem gefallen.


Verletzlichkeit bedeutet, sich einzubringen, anstatt nur zuzuschauen. Wer es wagt, die Welt mitzugestalten, macht sich angreifbar. Wer offen seine Meinung sagt, wer versucht, etwas zu verändern, wer sich öffentlich engagiert und Entscheidungen trifft, steht im Fokus und manchmal eben auch in der Schusslinie von anderen. Wer anstatt dessen von außen nur meckert, bleibt in seiner Deckung.


Lassen wir uns von unserer Angst vor Abwertung leiten, verpassen wir mögliche Chancen, ein für uns sinnerfülltes Leben zu leben. Wenn wir aus Angst vor dem möglichen Versagen nicht losgehen, kann nichts Neues entstehen. Sich in seiner Verletzlichkeit zu präsentieren, erfordert Mut und ist alles andere als schwach.



Und mit welchen Nachteilen muss ich rechnen, wenn ich mich verletzbar mache?


Wenn wir uns verletzbar zeigen, unsere Gefühle nach Außen tragen, unsere Meinung sagen, über unsere Wünsche und Bedürfnisse sprechen, dann bieten wir unserem Gegenüber Angriffspunkte. Möglicherweise versteht der Andere uns nicht, vielleicht versucht er uns zu belehren, oder er sagt uns offen, dass er unsere Gedanken und unser Verhalten nicht gut findet. Wir kommen in Berührung mit Ablehnung, Kritik, Abwertung, Enttäuschung…alles sehr unangenehme emotionale Erfahrungen.



Wie kann ich mich verletzlich zeigen?


Seine Scham zu überwinden und sich verletzlich zu zeigen, gelingt, wenn wir mit anderen Menschen über unsere schambehafteten Themen sprechen. Wenn wir uns öffnen, werden wir feststellen, dass wir mit diesen emotionalen Erfahrungen nicht allein sind. Wir werden herausfinden, dass JEDER Mensch etwas beschämendes mit sich herumträgt und versucht, zu verbergen. Dies schafft Verbundenheit, Vertrauen und Verständnis.


Natürlich ist es nicht ratsam, sich allen und jedem zu öffnen. Menschen, die sich mit uns nicht verbunden fühlen, werden womöglich nicht behutsam mit unserer offenen Verletzlichkeit umgehen.


Wenn es für dich noch unvorstellbar ist, dich mit deinen Themen authentisch und damit verletzlich zu zeigen, dann halte doch einmal Ausschau nach Menschen, die dies bereits tun. Achte in Gesprächen darauf, wo Personen dir Dinge erzählen, für die sie sich schämen. Werde dir auch bewusst, wie du dann über diese Personen denkst. Kommen dir vielleicht Gedanken wie „Oh Gott, das ist ja erbärmlich.“ oder eher „Wow, wie mutig, mir das zu sagen.“. Versuche diesen Mut dieser Menschen anzuerkennen und wertzuschätzen. Zeig ihnen dein Mitgefühl und vielleicht hast du sogar schon etwas ähnliches erlebt. Wenn ja, dann teile dies mit.



Welche Eigenschaften brauche ich, damit ich mich verletzlich zeigen kann?


- Mut

- Selbstmitgefühl

- Neugier

- Selbstbewusstsein

- Selbstreflektion



Ich danke dir sehr, für deine Zeit, die du mir und meinem Geschreibe geschenkt hast.


Wenn du magst, erzähl mir sehr gerne deine Gedanken zu Verletzlichkeit: Kontakt.


Und ein Hinweis in eigener Sache:

Anlehnend an die Methode der Verhaltensaktivierung habe ich ein „Lebensfreude-Training“ erstellt. Wenn du gerne wissen möchtest, welche Zutaten es noch braucht, um glücklich zu sein und wie du diese Zutaten in deinen Alltag mischst, dann trainiere deine Lebensfreude beim "Lebensfreude-Training". HIER kommst du zur Anmeldung und erhälst weitere Informationen!


Herzliche Grüße

Wenke Kroschinsky

Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie

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