Das Internet quillt über vor Vorschlägen, welche gesunden Verhaltensweisen man in sein Leben integrieren sollte. Und auch der Selbstoptimierungstrend, der immer noch anhält, redet uns ein, dass wir mit der Änderung der ein oder anderen Charaktereigenschaft ein besseres, zufriedeneres Leben führen können. Ich kenne niemanden, der keinen Wunsch der persönlichen Veränderung in sich trägt: Kilos verlieren, mehr Sport treiben, selbstbewusster sein, weniger Fernsehen, Meditieren, minimalistischer leben, Geld sparen, Umwelt schonen, kein Fleisch mehr essen, oder keine Kohlenhydrate, öfter mit den Kindern spielen, ordentlicher werden, sich besser strukturieren, mehr Kreativität ins Leben bringen. Ich könnte die Liste noch ewig fortsetzen. Und ich kenne auch niemanden, der nicht schon einmal bei einem Versuch der Veränderung gescheitert ist. Ich zum Beispiel. Mehrmals bei dem Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören. Oder bei dem Versuch, häufiger Sport in mein Leben zu integrieren. Oder mich basischer zu ernähren.
Warum fällt es uns so schwer, Gewohnheiten oder Charaktereigenschaften zu verändern?
Alle unsere Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Persönlichkeitszüge sind in unserem Gehirn abgespeichert. Je länger wir diese Eigenheiten schon haben und ausführen, desto stärker und sicherer sind die entsprechenden neuronalen (=die Gehirnzellen betreffend) Muster ausgeprägt. Das bedeutet, dass uns die Veränderung bei lange existierenden Verhalten schwerer fällt, da dieses Verhalten fest in unserem Kopf verankert ist. Wollen wir nun etwas verändern, so müssen wir als erstes die alten verknüpften Gehirnstrukturen überwinden und mit viel Mühe, Kraft und absichtsvollem Willen ein neues Verhalten initiieren. Doch der Mensch ist von Natur aus eher bequem und geht den Weg des geringsten Widerstandes, um wertvolle Energien und Ressourcen zu schonen. So kommt es, dass wir zu Beginn eines Vorsatzes der Verhaltensänderung noch die Kraft dafür aufbringen können, aber schon nach wenigen Tagen zurück in die alten, reserveschonenden Muster fallen.
Veränderung macht unserem Organismus grundsätzlich erstmal Angst. Das Gewohnte ist viele Jahre bekannt und schenkt Sicherheit und Halt. Das Neue birgt Ungewissheit. Auch die Angst vorm Scheitern lässt viele gar nicht erst mit der Veränderung beginnen. Angst ist ein lähmendes, ohnmächtigmachendes Gefühl. Viele Menschen meinen, Angst ist das unangenehmste Gefühl, was man haben kann. Von daher werden wir Menschen versuchen, diesen Gefühlszustand zu vermeiden, in dem wir die Situationen vermeiden, welche uns nicht geheuer sind und das betrifft nun auch die Veränderung. Aus Angst vor den Konsequenzen unseres Wandels versuchen wir es gar nicht erst.
Jeder von uns hat seine eigenen inneren Kritiker. Dies sind Überzeugungen unserer Person betreffend, die so oder so ähnlich lauten: „Das schaffst du nie.“, „Das kannst du nicht.“, „Das darfst du nicht.“, „Du bist zu dumm, zu faul, zu schwach…“, „Die anderen werde dich auslachen, lass es lieber gleich sein.“. Kennst du den ein oder anderen Satz? Auch bei diesen Glaubenssätzen werden Ängste erzeugt, welche uns dann wiederum davon abhalten, eine Veränderung überhaupt zu versuchen.
Manchmal können wir nicht in die Veränderung gehen, da uns nicht bewusst ist, wie viel Macht und Eigenverantwortung wir über uns und unser Verhalten haben. Zum Beispiel fühlt sich eine Frau von ihrem Mann immer wieder provoziert und sie reagiert dann wütend und verbal aggressiv ihm gegenüber. Sie trägt den Wunsch, dass sie weniger Konflikte mit ihrem Partner hat und dass sie gelassener reagieren kann. Aber sie sieht ihn als den Verursacher ihrer Wut an, er sei schuld, dass sie immer wieder so laut werden müsse. Damit macht sie sich zum Opfer. Opfer sind passiv, hilflos, können nur reagieren anstatt agieren. Nur, wenn es ihr gelingt, sich aus ihrer Opferrolle zu befreien und ehrlich reflektiert, welche eigenen Anteile sie mitbringt, dass diese Situationen eskalieren, erst dann wird sie ihr Verhalten ändern können.
Jede Veränderung hat zwei Seiten. Nehmen wir als Beispiel das Rauchen aufhören. Auf der einen Seite verspricht uns der Verzicht auf die Zigaretten weniger Gesundheitsprobleme, eine höhere Chance auf ein längeres Leben, mehr Geld, weniger Gestank, bessere Haut und noch einiges mehr. Auf der anderen Seite ist das Rauchen so fest in den Alltag verankert, dass es für den Raucher kaum vorstellbar ist, in bestimmten Situationen keine Zigarette zu rauchen. Vorstellungen von einem einsamen, miesepetrigen, freudlosen, langweiligen Trott machen sich breit. Die vermeintlich negativen Seiten der Veränderung werden bedrohlicher wahrgenommen, als dass die Vorzüge der positiven Seiten überwiegen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Beständigkeit dem Wandel vorgezogen wird.
Veränderungen zu bewirken wird einfacher, je stärker dein Warum ist. Ein etwas plattes Beispiel: Wenn der Arzt sagt, dass du die nächsten fünf Jahre nicht überleben wirst, wenn du nicht anfängst, dich mehr zu bewegen, gesünder zu essen und abzunehmen, dann hast du wahrscheinlich ein starkes Warum. Ähnlich verhält es sich mit dem Leidensdruck: Umso mehr du unter einer Gewohnheit leidest, desto größter wird deine Motivation sein, etwas in deinem Leben umzustellen.
Manche glauben oder hoffen, dass eine persönliche Veränderung stattfinden kann, wenn sie die äußeren Umstände ändern. Und manchmal klappt das auch. Wenn zum Beispiel der bisherige Job dich langweilt und deinen Stärken und Interessen nicht gerecht wird, dann wirst du dich wahrscheinlich in einem neuen Job, der dir besser entspricht, wohler fühlen. Doch auch diese Veränderungen im Außen beginnen mit deinen Gedanken und mit deinen Gefühlen.
Veränderung geschieht phasenweise
Der IST-Zustand: Deine Gefühle melden dir, dass etwas nicht in Ordnung ist. Das kann Unzufriedenheit sein oder ständige Gereiztheit oder andauernde Niedergeschlagenheit oder auch Ängste.
Die Wahrnehmung und Analyse deines IST-Zustandes: Ab einem bestimmten Zeitpunkt werden dir diese Gefühle immer bewusster und wenn du sie eine Zeit lang gut verdrängen und unterdrücken konntest, so gelingt dir das nicht auf Dauer. Du wirst die Gefühle ergründen und dich Fragen, warum du dich so fühlst. Du machst dir Gedanken über deinen Gefühlszustand und suchst nach Zusammenhängen zu deinen Verhaltensweisen und im Außen zu bestimmten Situationen.
Deine Phantasie des SOLL-Zustandes: Du beginnst, dir vorzustellen, wie du gerne leben möchtest. Du malst dir aus, wie du dich fühlen möchtest, wie du dich verhalten möchtest und welche Auswirkungen dies auf dein Leben haben würde. Diese Phantasien begleiten dich irgendwann den ganzen Tag. Morgens gleich nach dem Aufwachen gilt dein erster Gedanke deinem noch nicht erreichten SOLL-Zustand und abends im Bett kannst du womöglich nicht einschlafen, weil dich dieser wünschenswerte Zustand nicht loslässt. Die Sehnsucht, so zu leben wie in deiner Phantasie wird immer stärker und die Unzufriedenheit mit deiner aktuellen Situation wächst.
Die Suche nach einem Weg vom IST- zum SOLL-Zustand: Viele Wege führen nach Rom und so ist es auch bei Veränderungen. Doch nicht alle Wege passen zu jedem. Deswegen ist es oft hilfreich, die eigenen Stärken, Bedürfnisse und Vorlieben zu kennen. Dafür kannst du zum Beispiel schauen, wann es dir schon einmal gelungen ist, den SOLL-Zustand zu leben und erleben? Wann hast du es schon einmal geschafft, dich so zu verhalten, wie du es gerne hättest? Schau dir diese Situation genau an: Was genau hast du in diesen Situationen gemacht? Welche deiner Stärken hat dir dabei geholfen? Hat eine andere Person dir geholfen? Waren bestimmte äussere Umstände sehr günstig?
Deine feste Entscheidung für den SOLL-Zustand: Um wirklich den Weg der Veränderung zu gehen, benötigt man ein starkes Commitment mit dem Ziel. Commitment bedeutet, sich selbst dazu zu verpflichten, sein Bestes zu geben, um dieses Ziel zu erreichen. Ein starkes Commitment befähigt dich, auch bei Schwierigkeiten dein Ziel weiter zu verfolgen. Selbst wenn du auf dem Weg scheiterst, hilft dir deine unerschütterliche Selbstverpflichtung, wieder aufzustehen und erneut zu versuchen, deinen Traum-SOLL-Zustand zu erreichen.
Dein Plan, deine Schritte: Plane deine Schritte vom IST- zum SOLL-Zustand so genau wie möglich. Auch wenn es vielleicht länger dauert, so sind kleine Schritte auf Dauer erfolgversprechender als riesengroße. Immer wenn du merkst, dass die Veränderung sich extrem schwer und anstrengend anfühlt, dann könnten deine Schritte zu groß sein. Zugegeben, ein bißchen Leiden gehört mit dazu, um unsere alten Gewohnheitsmuster zu durchbrechen und neue zu etablieren. Doch sollte deinen Leiden nicht so groß sein, dass du alles aufgeben und hinschmeißen möchtest. Wenn du dir zum Beispiel vorgenommen hast, täglich eine halbe Stunde zu Laufen und du merkst nach dem vierten Tag, dass du es nur zwei Mal geschafft hast, dann schau genau hin, warum du es an zwei von vier Tagen nicht geschafft hast. Vielleicht war die halbe Stunde zu lang, dann könntest du weniger Zeit veranschlagen. Vielleicht kannst du das Laufen an bestimmten Tagen in der Woche gar nicht realisieren, dann verfolge deinen Plan lieber an vier Tagen anstatt an sieben. Vielleicht ist aber auch das Laufen selbst nicht dein Ding. Dann überlege, welcher Sport dir Spaß machen könnte. Wenn du es nicht weißt, dann probiere unterschiedliche Dinge aus, gerne jeden Tag etwas anderes.
Geduld, Geduld, Geduld und Üben, Üben, Üben: Ich bin mir ziemlich sicher, dass du an einen Punkt kommen wirst, wo du aufgeben möchtest oder vielleicht sogar aufgibst. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Erinnere dich selbst daran, dass jeder Mensch Schwierigkeiten hat, aus seiner Komfortzone auszubrechen und etwas Neues in sein Leben zu integrieren. Sei nett zu dir selbst und verurteile dich nicht für dein Scheitern. Pausiere für ein paar Tage dein Vorhaben und analysiere, was genau schief gelaufen ist und welche Gründe du siehst. Wenn dir solch eine Analyse schwerfällt, dann hole dir Unterstützung. Das kann ein Freund/eine Freundin sein, Geschwister, Kollegen oder vielleicht auch ein Profi. Such dir am besten jemanden aus, der die Veränderung, die du anstrebst, schon geschafft hat. Frag ihn, wie er es gemacht hat, welche Schwierigkeiten er hatte und wie er sie überwunden hat. Sollten dir die Antworten desjenigen nicht gefallen oder nicht zu dir passen, dann frage den nächsten und den übernächsten. Tu dies gerne so oft, bis du jemanden gefunden hast, bei dem du dich verstanden fühlst und der vielleicht sogar Lust hat, dich ein Stück deines Weges zu begleiten.
Schriftlich festhalten: Um dich selbst gut zu begleiten, deine Erfolge zu reflektieren und deine Stolpersteine zu erkennen, empfehle ich dir, Tagebuch zu schreiben. Dort kannst du all deine Gedanken festhalten. Du kannst dir deine Fortschritte fett markieren und immer wenn es mal schwierig wird, zurück blättern und vor Augen haben, wie weit du schon gekommen bist. Du kannst in deinem Tagebuch dein großes Ziel in kleine Mini-Ziele aufsplitten und deinen Plan zur Zielerreichung festhalten.
Auch wenn es unbequem ist, wir kommen um Veränderungen nicht herum. Doch auch bei aller Veränderung halte doch immer wieder mal inne und erfreue dich an dem, was du bereits hast. Geh achtsam und dankbar mit dem um, was dich umgibt und vor allem mit dir selbst.
Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit!
Herzliche Grüße
Wenke Kroschinsky
Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie
PS: Vielleicht hast du ja Lust bekommen auf Veränderung 😉Hier findest du mein aktuelles Angstbewältigungstraining.
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